Wann droht Langzeiterkrankten der Verfall von Urlaubsansprüchen?

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29. Dezember 2022

Ab in den Urlaub! BAG urteilt zu Fragen der Verjährung und Abgeltung von Urlaubsansprüchen in zwei Entscheidungen vom 20.12.2022

Ab in den Urlaub!

Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im September dieses Jahres zu grundlegenden Fragen zur Verjährung und Abgeltung von Urlaubsansprüchen Stellung bezogen hat, urteilte hierzu nun auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in zwei Entscheidungen vom 20.12.2022.

In den Pressemitteilungen werden die wichtigsten Punkte bereits genannt:

  1. Die Verjährungsfrist von Urlaubsabgeltungsansprüchen beginnt nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den/die Beschäftigte über den konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen wurde.

(Pressemitteilung zu BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20)

  1. Die Belehrungspflicht des Arbeitgebers besteht auch dann, wenn der/die Beschäftigte im Urlaubsjahr zunächst tatsächlich gearbeitet hat und erst im Laufe des Urlaubsjahres arbeitsunfähig wurde. Versäumt der Arbeitgeber über Anspruch und Verfall zu belehren, bleiben die Ansprüche bestehen.

(Pressemitteilung zu BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 245/19)

Zum Jahreswechsel ist immer viel los. Neben dem üblichen Jahresendspurt müssen Arbeitgeber:innen insbesondere auch daran denken, ihre Beschäftigten auf den möglichen Verfall ihres Urlaubs hinzuweisen, wenn sie diesen nicht bis spätestens März des kommenden Jahres in Anspruch nehmen. Wenn der Hinweis ausbleibt, bleibt der Anspruch bestehen.

Doch was passiert, wenn Beschäftigte arbeitsunfähig erkrankt sind und auch nicht absehbar ist, wann mir einer Rückkehr an den Arbeitsplatz zu rechnen ist?

Zu dieser Frage hatte zunächst der Europäische Gerichtshof im September entschieden (EuGH Urt. v. 22.09.2022 – C-518/20, C-727/20). Geklärt war bereits, dass auch arbeitsunfähig Erkrankte grundsätzlich Anspruch auf Erholungsurlaub haben. Dieser darf deshalb bei Fehlzeiten wegen Krankheit auch nicht gekürzt werden. Geklärt war ebenfalls, dass Arbeitgeber:innen verpflichtet sind, ihre Beschäftigten auf den möglichen Verfall von Urlaub hinzuweisen und ihnen die Gelegenheit zu geben, ihren Jahresurlaub auch tatsächlich zu nehmen.

Was aber geschieht mit dem Urlaub, wenn Beschäftigte arbeitsunfähig erkranken?

Von der Rechtsprechung anerkannt ist, dass es „besondere Umstände“ gibt, die eine Ausnahme von der Regel, dass Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht erlöschen können, rechtfertigen. Eine solche Ausnahme beruht u.a. darauf, Arbeitgeber:innen vor der Gefahr der Ansammlung von Urlaubsansprüchen aus langen Abwesenheitszeiträumen zu schützen (EuGH, Urteil vom 22.11.2011 – C-214/10).

Im September dieses Jahres aber stellte der EuGH klar: Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfällt nicht automatisch, wenn der oder die Beschäftigte im Bezugszeitraum tatsächlich gearbeitet hat, bevor die Arbeitsunfähigkeit eintrat.

Auch in diesen Fällen ist Voraussetzung für den Verfall des Urlaubsanspruchs, dass die Beschäftigten in die Lage versetzt wurden, ihren Urlaubsanspruch tatsächlich geltend zu machen. Arbeitgeber:innen trifft daher grds. die Mitwirkungsobliegenheit, über den bestehenden Urlaubsanspruch und die Verfallfristen informieren.

Dies hat nun auch das BAG in seiner Entscheidung vom 20.12.2022 nochmal bestätigt und seine Rechtsprechungslinie dahingehend konkretisiert, dass wenn der/die Beschäftigte zunächst tatsächlich gearbeitet hat und erst später im Urlaubsjahr arbeitsunfähig geworden ist, der Urlaubsanspruch nur verfällt, wenn der Arbeitgeber rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit den/die Beschäftigte in die Lage versetzt hat, den Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.

Anders aber verhält es sich bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. März des Folgejahres. Ein Hinweis auf den möglichen Verfall der Urlausansprüche seitens des Arbeitgebers ist dann nicht erforderlich. Die Ansprüche verfallen trotzdem.

In seiner zweiten Entscheidung vom 20.12.2022 setzte sich das BAG mit der Frage der Verjährung von Urlaubsansprüchen im Allgemeinen auseinander und stellte klar:

Zwar finden die allgemeinen Vorschriften über die Verjährung (§ 214 Abs. 1, § 194 Abs. 1 BGB) auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt im Lichte des Europarechts jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber über den konkreten Urlausanspruch und die Verfallfristen belehrt hat.

Fazit:

Der EuGH hat mit seiner September-Entscheidung den Verfall von Urlaubsansprüchen von Langzeiterkrankten eingeschränkt. Das BAG hat nun hierzu gleichfalls Stellung genommen und seine Rechtsprechungslinie konkretisiert. Da der erforderliche Hinweis über die konkreten Urlaubsansprüche und die Verfallfristen so rechtzeitig erfolgen muss, dass der Urlaub auch tatsächlich genommen werden kann, stellt sich die Frage, wann der richtige Zeitpunkt ist.

Unabhängig einer drohenden oder bestehenden Arbeitsunfähigkeit bietet sich ein Hinweis über den bestehenden Urlaubsanspruch und dessen drohenden Verfall grundsätzlich zu Beginn des Kalenderjahres an. Nach den neuen Entscheidungen des BAG dürfte klar sei: Der Hinweis sollte besser einmal zu viel, als gar nicht erfolgen.

Auch mit Blick auf die allgemeinen Verjährungsfristen ist die Beachtung der Belehrungspflicht zu Urlaubsansprüchen wesentlich, da die allgemeine gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren erst beginnt, wenn der/die Arbeitgeber:in seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist.