21. April 2021
Arbeitsrechtliche Fragen zur COVID-19-Impfung
Arbeitsrechtliche Fragen zur Impfung
Trotz aller Schwierigkeiten im Anlauf schreitet die Impfung in Deutschland voran und damit stellen sich zunehmend auch arbeitsrechtliche Fragen. Hat der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis eine Pflicht, sich impfen zu lassen? Kann der Arbeitnehmer Nachteile oder Vorteile haben, wenn er sich impfen lässt?
Es stellen sich hier eine Vielzahl von Fragen, vor allem auch Wertungsfragen, die von der Rechtsprechung noch beantwortet werden müssen. Nachstehend wollen wir einen Überblick über den Stand der möglichen Antworten geben um Ihnen in der Praxis eine Hilfestellung leisten zu können. Rechtsprechung gibt es freilich zu diesen Fragen noch nicht:
- a) Impfpflicht Im Arbeitsverhältnis?
Im Arbeitsverhältnis kann sich eine Pflicht aus verschiedenen Rechtsquellen ergeben. Zur Debatte steht zunächst die öffentlich-rechtliche Pflicht. Der Gesetzgeber hat in § 20 Abs. 6 IfSG das Bundesgesundheitsministerium und subsidiär in Absatz 7 die Landesregierungen, sollte das Bundesgesundheitsministerium nicht handeln, ermächtigt, eine öffentlich-rechtliche Impfpflicht einzuführen. Die Tatbestandsvoraussetzungen, die dort genannt sind, wären auch durchaus erfüllt. Derzeit scheint das aber (noch) nicht ernsthaft in Erwägung gezogen zu sein. Im Moment gibt es also keine solche öffentlich-rechtliche Impfpflicht, obwohl eine Rechtsgrundlage vorhanden wäre.
Eine Pflicht des Arbeitnehmers kann sich grundsätzlich auch aus einem Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung ergeben. Allerdings wäre in beiden Fällen ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers über die Grundrechtseinschränkung des Arbeitnehmers, der sich auf die körperliche Unversehrtheit berufen kann (Art. 2 Abs. 1 GG), Voraussetzung. Das wird allenfalls in besonderen Fallkonstellationen denkbar und diskutabel sein.
Es wird auch eine arbeitsvertragliche Pflicht in ihrer Wirksamkeit diskutiert, die aber in aller Regel schon in den geschlossenen Arbeitsverträgen fehlt und gegen den Willen des impfunwilligen Arbeitnehmers nicht einseitig aufgestellt werden kann.
Nicht zuletzt und für die Praxis relevant, wird auch eine Pflicht aus dem Weisungsrecht in besonderen Situationen diskutiert. Denn der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht, die eine solche Weisung rechtfertigen könnte. Auch diese Rechtsquelle kann allenfalls Ausnahmefälle erfassen. Dabei müsste in jedem Einzelfall die besondere Fürsorge für Kunden oder Patienten bzw. auch Kollegen begründbar sein.
Der Umstand, dass ein exekutives Handeln trotz entsprechender Ermächtigungsgrundlage bislang ausgeblieben ist, spricht grundsätzlich dafür, dass das Grundrecht des Einzelnen, insbesondere des Arbeitnehmers, gegenüber den Rechtsgütern der anderen, also beispielsweise des Arbeitgebers oder seiner Kollegen bzw. der Kunden, überwiegt. Eine Impfpflicht aus dem Arbeitsverhältnis wird daher nur im Ausnahmefall begründbar sein. Die Ausnahmefälle dürften nicht allein branchenspezifisch zu erfassen sein, sondern innerhalb besonderer Branchen (Pflege, medizinische Versorgung, Erziehung und Bildung, Fahrgastbeförderung, Einzelhandel etc.) müssten noch besondere Fallkonstellationen gegeben sein.
Beispielsweise werden sich nicht alle fahrgastbefördernden Unternehmen auf einen Ausnahmefall berufen können. Allein wenn eine besondere Situation besteht, beispielsweise ausschließlich eine besonders vulnerable Gruppe befördert wird, könnte man einen Ausnahmefall in Erwägung ziehen.
- b) Nachweis einer Impfung
Für die Arbeitgeber dürfte es hilfreich sein, über den Impfstatus des Arbeitnehmers Kenntnis zu haben. Diese Kenntnis dürfte insbesondere beim Arbeitnehmereinsatz von Relevanz sein. Reicht aber diese Erwägung, um einen Nachweis verlangen zu dürfen?
Im Regelfall wird die Nachweispflicht aus Datenschutzgründen (als Gesundheitsdatum genießt dieses besonders hohen Schutz nach Art. 9 Abs. 1 DS-GVO) abzulehnen sein. Im Gegensatz zum Schnelltest-Ergebnis handelt es sich beim Impfnachweis nicht um eine aktuelle Gefährdungsinformation. Dementsprechend wird auch das mittelbare Durchsetzungsrecht etwa über das Hausrecht, nicht gegenüber Mitarbeitern bestehen können.
- c) Verweigerung der Entgeltfortzahlung
Infiziert sich der nicht geimpfte Arbeitnehmer nach der Ausschlagung des Impfangebotes, könnte man als Arbeitgeber die Ablehnung der Entgeltfortzahlung in Erwägung ziehen. Die Verweigerung der Entgeltfortzahlung wird derzeit mehrheitlich abgelehnt, weil ein „Verschulden gegen sich selbst“ nicht bestehe mit dem Argument, dass die Impfung letztlich keinen 100 % sicheren Schutz gewährleiste und gesetzlich nicht verpflichtend sei. Allerdings sieht § 56 Abs. 1 Satz 3 IfSG vor, dass ein Entschädigungsanspruch (beispielsweise bei Quarantäneanordnungen) nicht begründet sei, wenn das behördliche Tätigkeitsverbot durch „Inanspruchnahme einer Schutzimpfung“ hätte vermieden werden können. Diese gesetzliche Regelung kann aber auch als Ansatzpunkt für eine Wertung der Impfablehnung als ein Verschulden gegen sich selbst verwendet werden. Hier bleibt die Rechtsprechungsentwicklung abzuwarten.
- d) Abmahnung und Kündigung?
Eine Abmahnung bzw. eine verhaltensbedingte Kündigung setzt eine Vertragspflichtverletzung voraus. Die Verweigerung einer Impfung ist in den seltensten Fällen eine Vertragspflicht (siehe unter a). Sollte man einen entsprechenden Ausnahmefall bejahen, müsste der Arbeitgeber jedoch schon vor der Abmahnung eine entsprechende Vertragspflicht klarstellen und bei deren Bruch die Sanktionsmöglichkeit in Aussicht stellen. Erst nach einer entsprechenden (rechtmäßigen) Abmahnung wäre dann an eine verhaltensbedingte Kündigung zu denken.
Die personenbedingte Kündigung, also die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines Eignungsmangels, könnte in besonderen Branchen, insbesondere der Kranken- und Altenpflege, jedoch durchaus in Betracht kommen. Voraussetzung wäre allerdings auch hier der Nachweis des konkreten Impfangebotes und das Ausschöpfen sämtlicher anderer Beschäftigungsmöglichkeiten ohne direkten Patientenkontakt. Es wird immer eine Frage des Einzelfalles sein, mitunter sogar, welcher Impfstoff welchem Arbeitnehmer angeboten worden ist.
- e) Versprechen von Vorteilen?
Andere Maßnahmen, wie das Versprechen von Vorteilen, Gutscheinen und Geldbeträge oder Naturalleistungen wie Urlaub, könnte gegen das Maßregelungsverbot sprechen § 612a BGB. Denn in der Bevorzugung der geimpften Arbeitnehmer liegt grundsätzlich die Benachteiligung der Impfverweigerer. Die Rechtsprechung ist vergleichsweise restriktiv beim Ausschluss einzelner Arbeitnehmer von bestimmten Vorteilen und daher dürften diese Versprechen in der Umsetzung schwierig sein. Der Arbeitgeber muss damit rechnen, im Zweifel die gleiche Leistung an alle zu gewähren. Damit wäre dann das Ziel freilich vollkommen verloren gegangen.
Weniger problematisch dürfen Anreize sein, die Impfung während der Arbeitszeit umzusetzen oder auch die erfolgte Impfung außerhalb der Arbeitszeit mit einem pauschalierten Umfang als bezahlte Arbeitszeit zu werten bzw. dem Arbeitszeitkonto gut zu schreiben.
Im Ergebnis sind die Handlungsmöglichkeiten der Arbeitgeber auf der Basis der aktuellen Rechtsprechung also sehr eingeschränkt.
Autor: Dr. Markus Kelber