Komplexes Update im Energierecht für Ausbau der deutschen Wasserstoffwirtschaft

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30.04.2024

Komplexes Update im Energierecht für Ausbau der deutschen Wasserstoffwirtschaft

Wasserstoffrechtlicher Doppelwumms im April

Manchmal geht es schneller als gedacht: Im Laufe des Aprils wurden gleich zwei wasserstoffrechtliche Gesetzespakete auf die gesetzgeberische Zielgerade gebracht. Der Wasserstoffhochlauf nimmt Fahrt auf.

1. Zweites Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes

Der Bundestag hat am 12.04.2024 das Zweite Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) beschlossen (Bundestagsdrucksache 168/24). Konkret führt die Gesetzesnovelle eine umfassende integrierte Netzentwicklungsplanung für das Erdgas- sowie das zukünftige Wasserstoff-Transportnetz ein. Das novellierte EnWG sieht künftig einen zweistufigen Wasserstoff-Hochlauf vor:

Auf der ersten Stufe wird ein Wasserstoffkernnetz geschaffen, das in den kommenden Jahren große Verbrauchs- und Erzeugungswasserstoffstandorte sowohl auf Angebots- als auch auf Nachfragseite verbindet. Der rechtliche Rahmen für den Aufbau des überregionalen deutschen Wasserstoffkernnetzes (§ 28r EnWG) ist bereits Ende Dezember 2023 in Kraft getreten.

Auf der durch die Novelle nun konkretisierten 2. Stufe des Hochlaufs wird das Kernnetz in eine fortlaufende integrierte Netzentwicklungsplanung für Gas und Wasserstoff überführt (vgl. § 15 a-f EnWG-E). Fernleitungsnetzbetreiber und regulierte Betreiber von Wasserstofftransportnetzen erstellen im Rahmen eines integrativen Prozesses künftig (alle zwei Jahre) einen Szenariorahmen und darauf aufbauend einen integrierten Netzentwicklungsplan für Gas und Wasserstoff. Im Jahr 2026 soll erstmals ein solcher Netzentwicklungsplan für Gas und Wasserstoff von der Bundesnetzagentur genehmigt werden. Die beschlossene Gesetzesnovelle legt die Rahmenbedingungen für dieses Aufstellungsverfahren fest, das u.a. öffentliche Konsultationsprozesse, die Einrichtung einer Koordinierungsstelle zwischen den Netzbetreibern sowie die Schaffung einer Datenbank vorsieht.

Zusätzlich beinhaltet die Novelle in §§ 28r und 28s EnWG-E Regelungen zur Finanzierung des Wasserstoffkernnetzes, die als Grundlage für einen privatwirtschaftlichen Ausbau dienen sollen. Das Hauptaugenmerk bei der Finanzierung des Kernnetzes liegt auf privaten Netzentgelten. Prognostisch werden während des Markthochlaufs nur eine überschaubare Anzahl von Wasserstoffnutzern an das Wasserstoffkernnetz angeschlossen sein, sodass die erhobenen Netzentgelte in dieser Phase nicht ausreichen werden, um die Investitionskosten zu decken. Um diesem Umstand zu begegnen, sieht der Gesetzgeber ein Konzept für eine intertemporale „Entgeltverschiebung“ vor. Um zu verhindern, dass potenziell hohe anfängliche Netzentgelte den Hochlauf von Wasserstoff hemmen, werden sie vorerst begrenzt. Die Differenz zwischen den anfänglich hohen Kosten für den Netzaufbau und den geringen Einnahmen durch wenige Netznutzer wird als Fehlbetrag auf einem sog. Amortisationskonto, das im Auftrag des Bundes von einer kontoführenden Stelle geführt wird, verbucht. Sobald zu einem späteren Zeitpunkt mehr Nutzer ans Netz angeschlossen sind und die Einnahmen aus Netzentgelten die Kosten für den Netzaufbau und -betrieb übersteigen, werden die Mehrerlöse unter Berücksichtigung der finanziellen Verrechnung zugunsten des Amortisationskontos verbucht. Die Mindereinnahmen aus der Aufbauphase werden somit mit Mehreinnahmen aus der Betriebsphase verrechnet. Gesetzgeberische Zielsetzung ist, dass das vorgesehene Amortisationskonto bis spätestens 2055 ausgeglichen wird. Falls dies nicht der Fall ist, müssen die Wasserstoff-Kernnetzbetreiber einen Selbstbehalt am Fehlbetrag des Amortisationskontos tragen. Sofern sie monetär hierzu nicht in der Lage sind, werden sie verpflichtet, das Eigentum am gesamten Wasserstoff-Kernnetz auf den Bund zu übertragen.

Ab jetzt haben die Fernleitungsnetzbetreiber die Möglichkeit, formelle Anträge zur Genehmigung des Kernnetzes zu stellen. Bis zum 21.05.2024 müssen die entsprechenden Anträge bei der Bundesnetzagentur eingereicht werden.

2. Wasserstoffbeschleunigungsgesetz

Zudem hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz der Bundesrepublik Deutschland einen noch nicht zwischen den Ressorts abgestimmten Referentenentwurf des Gesetzes zur Beschleunigung der Verfügbarkeit von Wasserstoff und zur Änderung weiterer rechtlicher Rahmenbedingungen für den Wasserstoffhochlauf (WasserstoffBG) veröffentlicht; dieser Gesetzesentwurf räumt Wasserstoffvorhaben ähnliche Privilegierungen wie Erneuerbare-Energien-Anlagen oder dem Netzausbau ein. Im Einzelnen:

  • Die Wirkung des Gesetzes umfasst den Bau und Umbau von Elektrolyseuren an Land, Wasserstoffspeichern, Wasserstoffimportterminals, aber auch von Anlagen zur Anlandung von Ammoniak oder verflüssigtem Wasserstoff; eingeschlossen sind auch Verdichter für Wasserstoffleitungen. Diese Vorhaben sollen in ihrer Schlüsselrolle gestärkt werden und daher bei planerischen Abwägungen als Belang mit einem überragenden öffentlichen Interesse gewichtet werden.
  • Darüber hinaus sieht die Novelle beschleunigende Regelungen für das gerichtliche Verfahren in der Verwaltungsgerichtsordnung, insbesondere Instanzenverkürzungen, vor. Für einen Teil der Vorhaben werden die Oberverwaltungsgerichte, für einige sogar das Bundesverwaltungsgericht erstinstanzlich zuständig sein.
  • Des Weiteren werden durch Maßgaben und in Fachgesetzen, insbesondere im Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) und dem EnWG zahlreiche Änderungen in den Verfahrensregelungen getroffen, die insbesondere die Digitalisierung betreffen. Die Antragsteller sind gemäß dem Entwurf verpflichtet, ihre Unterlagen digital einzureichen, während behördliche Stellungnahmen ebenfalls digital erfolgen müssen. Erörterungstermine sind entweder als Online-Meetings oder Telefonkonferenzen geplant. Zusätzlich legt der Entwurf fest, dass Ämter Unterlagen innerhalb eines Monats auf Vollständigkeit prüfen müssen.
  • Zudem sind in dem Gesetzesentwurf Instrumente zur Beschleunigung von Vergabe- und Nachprüfungsverfahren vorgesehen; diese werden insbesondere durch entsprechende Anpassungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sichergestellt. U.a. werden, da Losbildungen für einen erhöhten zeitlichen Aufwand sorgen können, Erleichterungen für eine Gesamtvergabe von Vorhaben des WasserstoffBG Die Vergabekammer kann darüber hinaus bei Nachprüfungsverfahren über Vergaben von Vorhaben des WasserstoffBG nach Aktenlage entscheiden. Die mündliche Verhandlung kann zukünftig via Bild- und Tonübertragung durchgeführt werden. Der Anwendungszeitraum der Regelungen für die beschleunigten Vergabe- und Nachprüfverfahren wird bis zum 01.01.2030 begrenzt.
  • In den Fachgesetzen werden die Regelungen des WasserstoffBG flankiert. Bspw. im EnWG werden für das Planfeststellungsverfahren die Verfahrensregelungen für die Wasserstoffinfrastruktur ergänzt.
  • Im Bundesfernstraßengesetz (FStrG) findet für Anlagen zur Herstellung und Speicherung von Wasserstoff eine Angleichung an die Regelungen für Windenergieanlagen und Solarenergieanlagen an Bundesfernstraßen statt.
  • Im BImSchG werden bestehende Erleichterungen für Windenergieanlagen an Land auch auf Elektrolyseure und Speicheranlagen ausgedehnt.
  • Im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) werden die Vorgaben für Elektrolyseure in der Anlage 1 an die Anlage 1 der 4. BImSchV angepasst, welche zur Umsetzung der Industrieemissions-Richtlinie zeitgleich geändert wird. Hinsichtlich der Umweltverträglichkeitsprüfung sieht der Entwurf eine sechswöchige Öffentlichkeitsbeteiligung vor, bestehend aus einer einmonatigen Auslegungs- und einer zweiwöchigen Äußerungsfrist. Für Elektrolyseure unter 5 MW soll keine Vorprüfung mehr erforderlich sein, zwischen 5 und 50 MW eine standortbezogene Vorprüfung, ab 50 MW eine allgemeine Vorprüfung.
  • Im Raumordnungsgesetz (ROG) werden für die Grundsätze der Raumordnung ergänzende Regelungen für Anlagen zur Erzeugung und zur Speicherung von Wasserstoff aufgenommen und können damit insbesondere bei der Konkretisierung in den Raumordnungsplänen berücksichtigt werden.

Die Verbändeanhörung zum Entwurf des WasserstoffBG läuft noch bis heute um 23:59 Uhr.