25. November 2020
New Work und alte Fragen – gelten Crowdworker als Arbeitnehmer?
Mit Urteil vom 01.12.2020 (Pressemitteilung 43/20, Aktenzeichen: 9 AZR 102/20) hat das Bundesarbeitsgericht sowohl grundsätzlich als auch im entschiedenen Fall bejaht, dass „Crowdworker“ Arbeitnehmer sein können.
Der Kläger nahm Kleinstaufträge („Mikrojobs“) einer Online-Plattform an, deren Betreiber („Crowdsourcer“) mit ihm eine Rahmenvereinbarung abschloss. Über sein Nutzerkonto erfolgte die Annahme der Einzelaufträge ohne vertragliche Verpflichtung. Nach Übernahme eines Auftrags musste dieser regelmäßig binnen zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben des Crowdsourcers erledigt werden (z.B. Kontrolle der Warenpräsentation in einer Verkaufsstelle). Erledigte Aufträge führten neben der Vergütung zur Gutschrift von Erfahrungspunkten auf dem Nutzerkonto und einer Levelerhöhung, welche die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge ermöglichte.
Auf diese Weise erledigte der Kläger binnen elf Monaten knapp 3.000 Aufträge. Dann teilte ihm der Crowdsourcer mit, dass ihm weitere Aufträge nicht mehr angeboten werden. Nachfolgend wurde ein „etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis“ vorsorglich gekündigt.
Anders als die Vorinstanzen, welche die Klage abgewiesen hatten, bejahte der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien.
Die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses und der Gesamtwürdigung aller Umstände kann dabei zum Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses führen. Insoweit wiederholt das Bundesarbeitsgericht die Grundsätze seiner Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen freien Dienstverhältnissen und Arbeitsverhältnissen und wendet diese auf Crowdworker an.
Im entschiedenen Fall ergibt sich ein Arbeitsverhältnis dadurch, dass der Crowdsourcer die Zusammenarbeit über seine Plattform so steuert, dass der Crowdworker die Tätigkeit im Ergebnis nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann. Zwar sei der Crowdworker vertraglich nicht zur Annahme von Mikrojobs verpflichtet. Jedoch ist die Organisationsstruktur der Plattform darauf ausgerichtet, über einen Account angemeldeten und eingearbeiteten Crowdworkern kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge zu übertragen. Hierbei war es nach einer bestimmten Anzahl durchgeführter Aufträge für den Crowdworker möglich, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen. Er konnte diese dann z.B. auf einer Route erledigen und damit faktisch einen höheren Verdienst pro Stunde erzielen. Dieses Anreizsystem veranlasste daher aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts den Crowdworker, rund um seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort kontinuierlich Mikrojobs zu erledigen. Damit sei das Vertragsverhältnis im Ergebnis ein Arbeitsverhältnis.
Hinsichtlich der Höhe der Vergütungsansprüche verweist das Bundesarbeitsgericht allerdings auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare regelmäßig nicht die Grundlage für die Vergütung in einem Arbeitsverhältnis sein können. Stellt sich im Nachhinein ein vermeintlich freies Dienstverhältnis als Arbeitsverhältnis dar, kann regelmäßig nicht angenommen werden, dass die für den freien Mitarbeiter vereinbarte Vergütung auch mit einem Arbeitnehmer vereinbart worden wäre. Geschuldet ist stattdessen die für einen Arbeitnehmer übliche Vergütung (§ 612 Abs. 2 BGB). Deren Höhe hat das Landesarbeitsgericht München, an welches der Rechtsstreit insoweit zurückverwiesen wurde, nunmehr noch aufzuklären.
Autor: Markus Pander